17. November 2023 – 10. Februar 2024
Eröffnungstage: Freitag, 17. November, 14 – 21 Uhr
Samstag, 18. November, 11 – 18 Uhr
What It Is Of ist die dritte Ausstellung von Éric Baudelaire in der Galerie Barbara Wien. Ausgangspunkt seines aktuellen Projekts ist ein parapsychologisches Experiment, mit dem die Mutter des Künstlers in den Jahren 1979 bis 1981 betraut war, das aber vorzeitig abgebrochen wurde. Im Mittelpunkt steht ein Tychoskop, ein kleines automatisches Zeichengerät, mit dem die Besucherinnen und Besucher während der Ausstellungsdauer interagieren können. Dabei werden Fragen zu Wissenschaft, Zufall und Vorstellungskraft aufgeworfen.
Abgeleitet von „τύχη”, griechisch für Zufall, ist das Tychoskop ein Gerät, das den „Zufall beobachtet“. Mit einem integrierten Stift zeichnet es durch eine entsprechende Programmierung Zufallsmuster auf Papier. Der Apparat in der Größe einer Lebensmittelkonserve wurde in den 1970er Jahren erfunden, um zu erforschen, ob der Mensch oder andere Lebewesen in der Lage sind, Objekte allein durch ihre Vorstellungskraft zu bewegen (Telekinese). In Laborexperimenten wurden Probanden angewiesen, das auf einem Tisch platzierte Tychoskop in 30-minütigen Sitzungen „mit ihren Gedanken zu sich heranzuziehen“. Es folgte jeweils ein Kontrollversuch derselben Dauer ohne Probanden. Die Tychoskop-Zeichnungen wurden im Vergleich analysiert, um herauszufinden, ob bei den Versuchen mit Probanden eine Abweichung von der statistischen Zufälligkeit vorlag. Die Hypothese war, dass eine messbare Abweichung bei einer großen Anzahl von Versuchen die Existenz des Phänomens Telekinese beweisen würde.
Im Alter von sieben Jahren nahm Éric Baudelaire am Tychoskop-Experiment teil, das unter der Leitung seiner Mutter Isabelle Baudelaire bei Trasbior, einem Forschungsinstitut, das zum französischen Konzern CGE gehörte, durchgeführt wurde. Vorgesehen waren 1000 Versuche. Als der Konzern allerdings 1981 verstaatlicht wurde, musste Trasbior schließen und das Projekt wurde nach nur 215 Versuchen eingestellt. Im Jahr 2020 begann sich Éric Baudelaire mit dem parapsychologischen Interesse in seiner Familie zu beschäftigen, unter anderem mit den wegweisenden Studien seines Urgroßvaters zu Telepathie und Hellseherei. Er entschied sich, das Original-Tychoskops von 1975, mit dem seine Mutter gearbeitet hatte, nachbauen zu lassen.
Das Projekt What It Is Of lässt das Trasbior-Experiment wieder aufleben. Galeriebesucherinnen und -besucher können einen 25-minütigen Tychoskop-Versuch durchführen. Danach wird ein Kontrollversuch erstellt. Beide dabei entstehenden Zeichnungen werden Teil der Ausstellung.
Die Arbeit What It Is Of besteht darüber hinaus aus Tychoskop-Zeichnungen aus vorangegangenen Präsentationen des Projekts und den begleitenden Versuchsprotokollen, die im Ausstellungsdisplay archiviert werden. Sie bilden ein ständig wachsendes Konvolut, das sich mit dem Zusammenspiel von Gedankenströmen und Materie befasst und die Vorstellungen von Zufall und Willenskraft untersucht. Die Zahl der Versuche in What It Is Of soll die Anzahl der Versuche im ursprünglichen, abgebrochenen Experiment übertreffen.
In der Ausstellung werden zwei weitere Werkgruppen gezeigt, die Éric Baudelaire mit Hilfe eines Tychoskops entwickelt hat: die Tychoscope Portraits und die Tychoscope Etchings.
Die Tychoscope Portraits bestehen aus jeweils zwei Tychoskop-Zeichnungen (mit und ohne Probanden), die zusammen gerahmt sind. In Anlehnung an die Struktur eines Rorschachtests lässt die direkte Gegenüberstellung der beiden Zeichnungen Spekulationen über die parapsychologischen Fähigkeiten der Porträtierten zu. Wer am Versuch teilnehmen und das Ergebnis seiner Sitzung erwerben möchte, kann in der Galerie eine persönliche „Porträtsitzung“ anfragen. In der Galerie sind darüber hinaus die Versuchsergebnisse des Künstlers und seines Sohns zu sehen, das Tychoscope Self-Portrait (Éric Baudelaire) und das Tychoscope Portrait (Jibril Baudelaire).
Die Tychoscope Etchings sind Radierungen, die auf gefundenen Kupferplatten entstanden sind. Hierzu benutzte Éric Baudelaire ein Tychoskop, das er mit einer Radiernadel ausstattete. In den Radierungen, die nach den Wochentagen benannt sind, an denen sie entstanden sind, überlagern sich die zufälligen Spuren der alten Kupferplatten mit der Linienführung des von Éric Baudelaire gelenkten Tychoskops.
Text: Olympia Contopidis
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Praktische Informationen:
Die Sitzungen zu What It Is Of dauern 25 Minuten und finden während der Öffnungszeiten Dienstag – Freitag, 11– 18 Uhr und Samstag 11–16 Uhr statt. Sie erfordern keine vorherige Anmeldung; die letzte Sitzung beginnt jeweils eine Stunde vor der Schließung. Die entstandenen Zeichnungen werden Teil der Installation und des Projektarchivs.
Die Tychoscope Portrait-Sitzungen sind an einen Ankauf der Zeichnungen gebunden. Termine können im Voraus mit der Galerie telefonisch (+49 30 2838 5352) oder per E-Mail (bw@barbarawien.de) vereinbart werden.
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Éric Baudelaire (geb. 1973 in Salt Lake City, USA), lebt und arbeitet in Paris. Er hatte Einzelausstellungen in folgenden Institutionen (Auswahl): Kunst Halle Sankt Gallen, Schweiz (2023); Spike Island, Bristol, Großbritannien (2022); Matadero, Madrid, Spanien (2020); Centre Régional d’Art Contemporain Occitanie, Sète, Frankreich (2019); Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.), Berlin, Deutschland (2018); Centre Pompidou, Paris, Frankreich (2017); Witte de Witt, now: Kunstinstituut Melly, Rotterdam, Niederlande (2017); Ludwig Forum, Aachen, Deutschland (2015); Fridericanum, Kassel, Deutschland (2014); Bergen Kunsthall, Norwegen (2014); Beirut Art Centre, Libanon (2013); Hammer Museum, Los Angeles, USA (2010)
Éric Baudelaire hat an zahlreichen Gruppenausstellungen teilgenommen, u. a. in der Bergen Kunsthall, Norwegen (2022), der 34th Bienal de São Paulo, Brasilien (2021); im MAXXI, Rom, Italien (2018); an der Whitney Biennial 2017, New York, USA; an der Biennale de Montréal, Kanada (2016); an der Sharjah Biennial, Vereinigte Arabische Emirate (2015); an der Yokohama Triennial, Japan (2014); an der 8th Taipei Biennial, Taiwan (2012); und La Triennale, Paris, Frankreich (2012).
Seine Filme und Installationen befinden sich in internationalen Museumssammlungen, darunter im Museum of Modern Art, New York, USA; im Museo Reina Sofia, Madrid, Spanien; im Whitney Museum of American Art, New York, USA; im MACBA in Barcelona, Spanien; und im Centre Pompidou, Paris, Frankreich.
Er erhielt zahlreiche Preise für seine Filme und Ausstellungen, darunter den Prix Marcel Duchamp 2019; Guggenheim Fellowship 2019; Future of Europe Art Prize 2017; Sharjah Biennial 12 Prize 2015; den 2014 SeMA-HANA Award, Mediacity in Seoul, Südkorea; und den Special Jury Prize des DocLisboa Festival, Portugal (2012 and 2014).
Exhibition: November 17, 2023 – February 10, 2024
Opening Weekend: Friday, November 17, 2–9 pm
Saturday, November 18, 11am–6 pm
Éric Baudelaire’s third exhibition at Galerie Barbara Wien centres around his most recent and eponymous project, What It Is Of (2023). As its starting point, the exhibition takes a prematurely-abandoned parapsychological experiment, coordinated by the artist’s mother from 1979-81. Probing notions of belief, chance, and parascience, it invites visitors to engage with a robotic drawing device called a “tychoscope.”
Derived from “τύχη,” Greek for chance, a tychoscope is a device that “witnesses chance.” Invented in the 1970s to investigate telekinesis, the speculative ability to influence or move objects using the power of one’s mind, this tin-can sized robot draws random patterns on paper. In laboratory experiments, human participants were instructed to “bring the tychoscope towards them with their thoughts” during half hour sessions. The tychoscope drawings were then analysed to determine if they deviated from pure statistical randomness in comparison to control sessions of the same duration drawn by tychoscopes with no human subjects in the room. The hypothesis was that any measurable deviation from chance, on a large sample of drawings, would demonstrate the existence of telekinetic phenomena.
At the age of seven, Éric Baudelaire participated in tychoscope experiments conducted in the Trasbior laboratory, overseen by his mother, Isabelle Baudelaire, within the French industrial conglomerate CGE. The company aimed to perform a statistical analysis on a sample of 1,000 experiments, but was nationalised in 1981, leading to the laboratory‘s closure after only 215 sessions.. In 2020, Éric Baudelaire began exploring his family’s history of parapsychological research, including his great-grandfather’s pioneering studies in telepathy and clairvoyance and created a contemporary replica of the original 1975 tychoscope.
The project What It Is Of resurrects the Trasbior protocol, inviting visitors to engage in tychoscope sessions. After participants have spent 25 minutes seeking to influence the course of the robot’s movement with their consciousness, a control session is carried out. The resulting drawings become part of the exhibition and are displayed side by side throughout the gallery, contrasting the drawings that may or may not have been influenced by the participants’ thoughts with the control-session drawings created without a subject present.
The drawings created in the context of this exhibition are archived alongside materials from previous renditions of the project, contributing to an ever-expanding collection that delves into the interplay of mind and matter while probing notions of randomness and belief. With the aim of achieving a much larger sample size than the prematurely-cancelled original experiment, the cumulative archive of drawings, along with a protocol for their display and further experiments, constitutes the work What It Is Of.
The exhibition also comprises two different types of drawings which Baudelaire has developed using the chance generating device: Tychoscope Portraits and Tychoscope Etchings.
Tychoscope Portraits are unique works on paper consisting of a pair of tychoscope drawings juxtaposed in a single frame. They are created following the same protocol as the experiments conducted as part of the What It Is Of sessions. Alluding to the structure of a Rorschach test, the direct opposition of the two drawings allows for speculation about the parapsychological faculties of the portrayed individuals. Those interested in participating in this endeavour and acquiring their results can request a portrait session, which lasts 45 minutes. On view at the gallery are Tychoscope Self-Portrait (Éric Baudelaire), for which the artist conducted a portrait session himself, and Tychoscope Portrait (Jibril Baudelaire), by his son.
Tychoscope Etchings is a series of prints made with found copper plates whose surfaces bear the marks of time, producing unpredictable background textures and motifs. Over eight consecutive days, Éric Baudelaire engraved plates using a customised tychoscope equipped with a dry etching tip. Each engraving is named after the day of the week on which it was made, layering the random textures from the original copper plate with the pattern etched by the tychoscope. During the sessions, the artist sought to influence the robot’s movements with his thoughts to generate a formal interplay from these two sets of patterns.
Text: Olympia Contopidis
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Practical information:
What It Is Of sessions last 25 minutes, are held during gallery opening hours and do not require prior signup.The resulting drawings become part of the installation and project archive. The last session starts at 5pm between Tuesday to Friday, and at 3pm on Saturday.
The special Tychoscope Portrait sessions are tied to an acquisition. Appointments can be arranged ahead of time with the gallery via phone (+49 30 2838 5352) or email (bw@barbarawien.de).
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Éric Baudelaire (b. 1973 in Salt Lake City, USA) lives and works in Paris, France. He has had solo exhibitions at venues including Kunst Halle Sankt Gallen, Switzerland (2023); Spike Island, Bristol, United Kingdom (2022); Matadero, Madrid, Spain (2020); Centre Régional d’Art Contemporain Occitanie, Sète, France (2019); Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.), Berlin, Germany (2018); Centre Pompidou, Paris, France (2017); Witte de With (now: Kunstinstituut Melly), Rotterdam, Netherlands (2017); Ludwig Forum, Aachen, Germany (2015); FridÉricianum, Kassel, Germany (2014); Bergen Kunsthall, Norway (2014); Beirut Art Centre, Lebanon (2013); and the Hammer Museum, Los Angeles, USA (2010).